Boris Eifman


Boris Eifman
Boris Eifman

 Boris Eifman, der Begründer und Schöpfer seines eigenen Theaters, seines eigenen Stils und seines eigenen Ballett-Universums, gilt als „einer der führenden Choreografen der Welt“ und als „erstaunlicher Magier des Theaters“. 1946 in Sibirien geboren, wollte er von frühester Kindheit an seine Gefühle und Gedanken in der Körpersprache, im Tanz ausdrücken. Er selbst sagte später: „Für mich ist Ballett mehr als ein Beruf. Es ist ein Mittel zur Existenz, meine Mission auf dieser Erde. Mit seinen Möglichkeiten bin ich gezwungen, das zu vermitteln, was mir von oben gegeben wurde. Wahrscheinlich würde ich einfach an meinen Emotionen ersticken, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, sie durch Kunst auszudrücken. Choreografie bedeutet für mich Kunst, die im weitesten Sinne des Wortes tief religiös ist.“

 

Der angeborene Sinn für Bewegung und der „Instinkt zu komponieren“ brachten ihn an das Leningrader Konservatorium, wo er in der Abteilung für Choreografie studierte, und anschließend an die Waganowa-Ballettakademie, wo er zehn Jahre lang als Choreograf arbeitete und neue Werke für Studentenaufführungen kreierte. Schließlich gründete er 1977 sein eigenes Ballettensemble. Dies ist der Moment, an dem die Geschichte von Eifman begann – als er mit seinem Talent, mit seinem Blut und Schweiß, mit seiner Energie und unter vollster Hingabe sein eigenes Theater schuf.

 

Eifman verband auf brillante Weise modernste Errungenschaften in der Welt des Balletts mit dem, was er in der akademischen Schule der klassisch-russischen Choreografie lernte, auf die er seine Wurzeln zurückführt. „Was ich mache, kann als Tanz der Emotionen bezeichnet werden, als freier Tanz, als eine neue Sprache, in der klassisches Ballett, moderner Tanz, ekstatische Impulse und vieles andere miteinander verwoben sind ...“, sagte er zu jener Zeit. Seine Tänzer, die eine ausschließlich akademische Ausbildung hatten, mussten sich ein neues Vokabular der Körperbewegung aneignen.  Es war eine völlig andere Art von Choreografie, deren Grundprinzip sich mit der Gründung der Truppe durch Eifman herausbildete.

 

Im Laufe der Zeit wurde aus seinem Ballettensemble ein Balletttheater, und diese Namensänderung spiegelt die wesentliche Formel von Eifmans kreativer Methode wider. Als Künstler mit einer natürlichen Neigung zum Theater ist er daran interessiert, nicht nur Variationen von Bewegungen zu choreografieren, sondern auch transparente innere Vorgänge sowie die eine oder andere übergeordnete Idee, die mit einer Aufführung verbunden ist. „Ich schaffe Ballette einer anderen Art, in denen der Selbstausdruck zum Thema wird und in denen es Drama, Philosophie, Charaktere und eine Idee gibt. Und ich bin sicher, dass dies das Ballett der Zukunft ist. Glauben Sie mir, viele meiner jungen Kollegen werden dem Weg folgen, den ich eingeschlagen habe. Dieser Weg führt schließlich zum Menschen.“

 

Es ist der Mensch, der von Eifman als Hauptgegenstand und Interesse einer Kunst betrachtet wird, die Macht über die Herzen der Zuschauer hat und in der Lage ist, die Seele anzusprechen. Für Eifman ist Ballett ein Mittel der Kontemplation, oder, wie er es ausdrückt, eine „Gelegenheit, durch Bewegung nicht nur eine Art von Form und Linie auszudrücken, sondern eine Flut von Emotionen, Energie, Ideen zu vermitteln ...“

 

Eine Besonderheit und das Markenzeichen von Eifmans Theater ist, dass fast alle seine Aufführungen eine Handlung und oft auch eine literarische Quelle haben. Dies entspricht voll und ganz seinem künstlerischen Credo: „Ich will damit nicht sagen, dass ich mich nicht mit dem choreografischen Text selbst und seinem Niveau beschäftige, ebenso wie mit dem Grad der Vorstellungskraft oder der perfektionierten Form ... Aber wenn ich eine literarische Grundlage brauche, bedeutet das, dass ich nach einer Möglichkeit suche, in eine bestimmte Welt einzutauchen, eine, die mir und meinem Publikum vertraut ist, und im Vertrauten versuche ich, das Unerforschte zu entdecken und zu enthüllen ...“

 

Es ist dieses Eindringen in das Reich des Unerforschten – in der Choreografie und in der geistigen Sphäre –, das wohl das Markenzeichen von Boris Eifman ist. Wenn er sich den literarischen Werken oder den Lebensgeschichten von Moliere, Paul I. (dem Zaren von Russland), Tschaikowsky oder Rodin zuwendet, sieht Eifman immer Nuancen, die sonst niemandem aufgefallen sind, er findet das, was zu verblüffen vermag, er spürt neue Bedeutungen auf. In visuellen Metaphern der Bewegung, die mit figurativen Chiffren von Träumen verglichen werden können, in denen verschwommene Fantasien und Impulse visuelle Formen annehmen, veräußerlicht Eifman, was im Kern eines literarischen Textes oder der Lebensgeschichte eines Künstlers steht. Eifmans Theater wird oft als ein psychologisches bezeichnet. Seine Ballette können als plastische Psychoanalyse verstanden werden, in deren Verlauf die psychologische Tiefe der Figuren und der Geschichten – egal ob fiktiv oder real – offengelegt wird.

 

Wenn Eifman sich den Werken großer Schriftsteller oder dem Leben von Geistesgrößen zuwendet und sie in die Sprache des Balletts übersetzt, ist das ein Eintauchen, durch das Physische ins Psychische, durch den Körper in die Seele, durch Worte in Ideen. Sein einzigartiges Vokabular und seine konzeptionellen, schriftstellerischen Interpretationen sind ein Durchbruch in jene fantastische Dimension, in der die Grenzenlosigkeit der inneren Welten lebendig wird.



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