Die Russische Nationalphilharmonie unter Vladimir Spivakov im Mannheimer Rosengarten

Im Rausch der Walzerklänge

Ganz russisch geprägt, im Programm und in Art der Wiedergaben, war der Abend mit der Russischen Nationalphilharmonie unter Vladimir Spivakov beim Pro-Arte-Konzert im voll besetzten Mannheimer Rosengarten. Aufsehen erregte der 16-jährige Pianist Ivan Bessonov mit seinem Vortrag des b-moll-Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky.

Im Deutschland des 21. Jahrhundert verschwinden Orchester oder werden miteinander fusioniert, in Russland werden neue gegründet, wie die 2003 ins Leben gerufene Russische Nationalphilharmonie, der von Beginn an Vladimir Spivakov vorsteht. Der international anerkannte Geiger und Dirigent ist in seiner Heimat ein fast so wirkungsmächtiger Künstler wie Mariinsky-Chef Valeri Gergiev.

Das betrifft auch seinen Einsatz für den musikalischen Nachwuchs. In der alten UdSSR war Spivakov ein Förderer schon des ganz jungen Jewgeni Kissin, einem der großen Klaviergenies unserer Zeit. In Mannheim stellte er nun den erst 16 Jahre alten Ivan Bessonov als Solisten im b-moll-Konzert von Tschaikowsky vor. Der junge Virtuose hat, natürlich – möchte man im Hinblick auf die russische Pianistentradition sagen – keine technischen Probleme. Was aber bei seinem Spiel viel mehr beeindruckte, war die gestalterische Klarheit und Konsequenz des Vortrags. Und es war der ausgeprägte Klangsinn des aufstrebenden Musikers, der seinem Part nicht zuletzt dadurch eine sehr differenzierte Form gab. Aber auch an Spannung und expressivem Zugriff fehlte es dem Pianisten nicht. Für den großen Beifall des Publikums dankte Ivan Bessonov mit Chopins leidenschaftlich musizierter Revolutions-Etüde.

Tschaikowsky war auch der Komponist der anderen Werke des offiziellen Programms. Der Walzer aus „Dornröschen“ eröffnete den Abend und belegte schon den satten und kompakten Klang des in allen Registern exquisit besetzten Orchesters. In von russischen Orchestern und Dirigenten durchaus bekannter Manier legte Spivakov mit seiner Nationalphilharmonie viel Wert auf plastische Konturen bei der Entfaltung des musikalischen Satzes und auf eine stringente Entwicklung der Form.

Das gab nach der Pause Tschaikowkys fünfter Sinfonie in e-moll eine packende Gestalt und viel Intensität. Besonders der zweite Satz erschien wie ein grandioses Klangmonument, bei dem jede Geste souverän modelliert war. Denn natürlich ist Spivakov jedem Ton der Partitur aufs Engste vertraut. Er war deshalb auch bei dieser Musik ein absolut überlegener Interpret der Werke seines Landmanns.

Drei Tänze waren die fulminanten Zugaben des Orchesters und seines Dirigenten: der Ungarische und Neapolitanische Tanz aus Tschaikowskys „Schwanensee“ und – als „Kracher“ des Abends – der Walzer aus Aram Khachaturians „Maskerade“, bei dem die Russische Nationalphilharmonie ihren prachtvollen, berauschenden Klang noch einmal voll ausspielte.


Von Karl Georg Berg, Die Rheinpfalz, 30.10.2018